Das Wochenende, an dem ich zwei Tage lang ein bisschen um die Welt gegangen bin

Letzte Woche um die Zeit bin ich am Hauptbahnhof München aus dem Zug gestiegen, um von dort gen Heimat zu gehen. Heim zu meiner ersten warmen Mahlzeit des Tages, heim zu einer warmen Dusche, heim zu meinem eigenen Bett. Heim, heim, heim – und bitte so schnell wie möglich! Aber da haben mir meine Beine und Füße einen Strich durch die Rechnung gemacht. Erstere waren nach einer Stunde im Zug steif und wollten sich nicht so recht bewegen, letztere waren von Blasen gezeichnet, was das Auftreten erschwerte. Was hatte ich mir an diesem Wochenende angetan? Ich hatte meinen Cousin zwei Tage lang bei seinem Fußmarsch um die Welt begleitet.

Fiona und James an James’ erstem Schultag (ich: links!)

Vor ungefähr einem halben Jahr hat der Familienfunk mir die ersten Gerüchte zugetragen, dass James vor hat, zu Fuß um die Welt zu gehen. James und ich sind im gleichen Jahr geboren, unsere Mütter sind nicht nur Schwestern, sondern dicke Freundinnen, die irischen Sommer meiner Kindheit haben wir größtenteils zusammen verbracht.

Er hat ein wenig länger studiert als ich und hatte offenbar noch keinen Masterplan, wie es danach weiter gehen sollte… bis jetzt. Als ich ihn an Weihnachten 2011 in Irland gesehen habe, war aus der Idee schon ein konkreter Plan, eine Route, eine Website, eine Facebook Page, ein Twitter-Account, und, und, und…. geworden. Im Januar 2012 sollte es losgehen.

Der Plan: Zu Fuß von Edinburgh (wo James studiert hat) auf die andere Seite des Globus, ins neuseeländische Dunedin. Dabei wird er knapp 20.000 Kilometer gehen und  dabei 3 Kontinente und 16 Länder durchqueren. Damit das Ganze auch noch einen größeren Sinn hat als ein verdammt langer, unbezahlter Wanderurlaub, nutzt James die Aktion, um Spenden für UNICEF zu sammeln. Das Projekt nennt er Just Going for a Stroll (etwa: Ich mach mal einen Spaziergang).

James in München am St. Patrick’s Day

Mitte März war er schon bis nach Bayern gewandert und kam pünktlich zum St. Patrick’s Day in München an. Er blieb fast eine Woche, wir haben den irischen Nationalheiligen gebührend gefeiert, eine kleine Radltour mit Biergartenbesuch gemacht, fünf Waschmaschinenladungen gewaschen, Equipment genäht, geflickt und repariert… Als er Ende der Woche wieder aufbrach, hatte er mich und einige Freunde mit seinen wildromantischen Wandergeschichten genug angefixt, dass wir uns für das folgende Wochenende in Rosenheim verabredeten, um zwei Tage mit James zu wandern. Die Wanderung begann am Samstag Vormittag in Westerham vorm Irschenberg – und damit auch das Abenteuer, das mich am Sonntag Abend steif, hungrig und humpelnd wieder am Hauptbahnhof München ausspucken sollte.

James freut sich, seinen Buggy ein paar Tage lang von anderen schieben zu lassen

Wir gingen beschwingten Schrittes los, freuten uns des schönen Wetters, der frischen Luft und blickten zuversichtlich auf die knapp 60 Kilometer, die vor uns lagen…

Schon am ersten Tag haben wir uns in einem Waldstück verlaufen, mussten den Kinderbuggy, den James als Transportesel benutzt, bergauf  schieben, ziehen, wuchten und über einen Bauzaun heben, und haben dabei so viel Zeit verloren, dass wir erst im Dunkeln unser Tagesziel erreicht haben: den Gocklwirt am Simssee (unbedingte Empfehlung für einen Sonntagsausflug, aber geht lieber nicht zu Fuß hin). Das nach dem Motto “je mehr Tand, desto authentischer” überdekorierte Wirtshaus, das leckere Essen, das freundliche Personal, die hervorragende Gockl-Weisse (Sonderabfüllung von HB Traunstein) und eine luxuriös anmutende Ferienwohnung (warmes Wasser! saubere Handtücher! Sofa! Bett!) waren Belohnung genug, um uns die ersten Blasen vergessen zu lassen. Deswegen läuft man schließlich – um irgendwo anzukommen.

Der nächste Tag begann wie der erste, nur mit noch mehr Sonne, noch größerem Optimismus und  weniger Kilometern vor uns. Nicht eingeplant hatten wir dagegen: das reduzierte Tempo aufgrund diverser Schwächeerscheinungen. Die ersten Mitwanderer humpelten schon zur Mittagszeit nur noch mit halbem Tempo und brachen den Ausflug vorzeitig ab. Die letzten Kilometer funktionierten nur noch nach dem Karottenprinzip. Die Karotte war in diesem Fall zuerst der Chiemsee, dessen Westufer immer näher rückte und – nachdem wir den See erreicht hatten – Gstadt, von wo ein Schiff mich zum Zug nach Prien bringen sollte. Wenn ich in dieser Metapher der Esel sein soll, dann hat meine Erscheinung wahrscheinlich ganz gut gepasst, denn mein Gang war zu diesem Zeitpunkt weder grazil noch sportlich.

Endlich angekommen, mit dem verdienten Feierabendbier in der Hand und den Füßen im Wasser, die Abendsonne im Gesicht, stellte sich wieder das euphorische Welteroberer-Gefühl ein: endlich angekommen!

Das Ziel: Gstadt am Chiemsee

Glücklicherweise hat die Euphorie nicht die Haupt-Erkenntnis überstrahlt, die ich aus dieser Wanderung gewonnen habe – zwei Tage Fußmarsch sind für mich Weltumrundung genug! Und so bin ich nach der Schiffsüberfahrt nach Prien, der Zugfahrt nach München und dem humpelnden Gang durch den Bahnhof in ein Taxi gestiegen und habe mich heim fahren lassen – ein Weltspaziergänger in der Famile ist schließlich auch genug!